Bericht - 15. Fachtagung "Leben und Sterben" 2012

Zwischen Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl

Am Mittwoch, dem 31.10.2012, fand die diesjährige Fachtagung „Leben und Sterben“ des Hessischen Sozialministeriums in Kooperation mit der HAGE e.V., Arbeitsbereich KASA in Frankfurt am Main statt. Unter dem Titel „Zwischen Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl“ richtete die Tagung den Blick auf die Angehörigen sterbender Menschen.

Jeder Mensch hat Angehörige, egal wie das Verhältnis zueinander sein mag oder sich für uns nach außen darstellt. Das Gefühl der Zugehörigkeit, der Verantwortung füreinander, der Liebe und des Pflichtgefühls spielen gerade auch am Lebensende eine große Rolle. Angehörige stehen zwischen Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl. Angehörige erleben einen Wechselbad der Gefühle. Wer aber fragt danach?

Die letzten Fachtagungen und viele andere Fachveranstaltungen haben sich mit der Rolle der sterbenden Menschen oder den bei der Begleitung und Versorgung beteiligten Professionen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern beschäftigt. Heute wurden die hauptberuflichen und ehrenamtlichen Versorgenden aus dem Blickwinkel der Angehörigen betrachtet.

Allein ist jeder nur ein Teil des Ganzen

Der Vormittag widmete sich der Frage, wer als Angehöriger überhaupt zu verstehen ist. Ursula Josuttis ging dieser nicht einfachen Frage in einem bildlichen und eindrücklichen Vortrag nach. Dabei zeigte sich, dass die Begriffsbestimmung “Angehörige” aus verschiedenen Perspektiven – ob juristisch, soziologisch oder einfach aus Sicht der Betroffenen – durchaus unterschiedliche Personen sein können. Es gibt eine Vielzahl von Personen, die sich an- und zugehörig fühlen und das System beeinflussen.

Angehörige haben eine emotionale Beziehung. Angehörige können neben Familie auch gute Bekannte, Nachbarn, Kollegen, Vereinsmitglieder, vielleicht auch der geschiedene Ehemann, der Patensohn oder die Haushaltshilfe sein. Angehörig ist derjenige, der sich sorgt, sich engagiert, sich Zeit nimmt, wer im Leben wichtig war und wer erwünscht ist, so Josuttis.

Festzuhalten ist, dass die Angehörigen Hoffnung und Angst haben, sich die Intensität dieser Gefühle unterschiedlich stark ausprägen und im Laufe der Zeit verschieben kann. Es gibt kein Richtig oder Falsch der Gefühle. Wichtig ist, dass im System jeder zählt und darin seinen Platz hat. Konflikte und Konkurrenzen treten auf. Familienkonferenzen sind hier eine sinnvolle Strategie, die Angehörigen zueinander zu bringen, auch um den sterbenden Menschen zu unterstützen und zu entlasten.

Der zweite Vortrag am Vormittag, für den Prof. Sabine Pleschberger aus Wien gewonnen werden konnte, griff gesellschaftliche Aspekte auf. Die Hospizbewegung in Deutschland ist förderalistisch, praxis- und betroffenennah, hilfeorientiert und selbsterfahrungsbezogen. Einen Entwicklungsschub erhielt die Hospizbewegung in 1970er und 1980er Jahren dadurch, dass das Schweigen über Sterben und Tod im II. Weltkrieg überwunden werden konnte.

Offene Fragen, die die Beschäftigung mit dem Sterben auch in der Forschung schwierig machen, sind sowohl auf der Metaebene (Wer stirbt wo?) als auch auf der Mikroebene (Welchen Wunsch haben Angehörige?) zu finden. Aber auch eine genaue Festlegung, wann ein Mensch stirbt ist schwierig und kann eher aus der Retrospektive benannt werden. Angehörige nehmen Körperveränderungen wahr, Einschränkungen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens oder erleben, was der sterbende Mensch selbst sagt oder tut. Die zunehmende Medikalisierung der Gesellschaft, die Vielzahl von Angeboten medizinischer Therapien, lassen die Menschen hoffen und den Kampf gegen den Tod aufnehmen.

Abschließend betonte Pleschberger, dass es wichtig ist, so wie es Cicely Saunders gesagt hat, miteinander zu reden und “Nie aufhören, das Selbstverständliche zu sagen.”

Das Umfeld des sterbenden Menschen – Was kann mich erwarten?

Am Nachmittag wandten sich die Referentinnen und die ca. 70 Teilnehmenden der schwierigen Frage zu, die Angehörigen sterbender Menschen in verschiedenen schwierigen Lebenszusammenhängen zu betrachten.

Frau Prof. Ulrike Schulze von der Fachhochschule Frankfurt gab eine kurze Einführung.

Was bedeutet es, wenn ein Angehöriger trinkt? Wenn ich eigentlich den sterbenden Menschen begleiten möchte, aber bemerke, das der Angehörige ein Suchtverhalten an den Tag legt? Wem wende ich mich zu? Monika Horneff gab einen Überblick über Sucht bei Menschen.

Was bedeutet es, wenn der Angehörige dement ist und vom sterbenden Menschen versorgt und gepflegt wurde? Was kann hier die Hospiz- und Palliativarbeit leisten? Sonja Jahn berichtete über die Möglichkeiten der Validation, einer wertschätzenden Haltung, bei der Begleitung dementer Menschen.

Was bedeutet es, wenn Menschen einen Migrationshintergrund haben? Nehmen sie die Hilfsangebote der Hospiz- und Palliativarbeit an? Welche Rolle spielen diese Angebote zur Entlastung Angehöriger? Wie erreicht die Hospiz- und Palliativarbeit überhaupt diese Personengruppe? Daniela Grammatico gab einen interessanten Überblick.

Es ist deutlich geworden, dass es kaum Literatur oder Studien zum Thema der Angehörigen sterbender Menschen gibt, über ihre möglichen Sorgen und Ängste, ihre Gefühle wie Liebe und Verantwortung oder Pflichtgefühl. Es ist für uns schwer, den Blick auf die Angehörigen gerichtet zu lassen, das hat der Fachtag gezeigt. Wir sollten Angehörige danach fragen, was sie sich an Unterstützung, Begleitung und Entlastung wünschen. An verschiedenen Orten in Hessen gibt es dazu im Kleinen durchaus gute Beispiele.

Die Fachtagung des Hessischen Sozialministeriums wurde von der HAGE e.V., Arbeitsbereich KASA inhaltlich und organisatorisch vorbereitet. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Fachhochschule Frankfurt und dem Hessischen Institut für Pflegeforschung statt.