Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung in hessischen Jobcentern zur Covid-19-Pandemie 2020

Die aktuelle Situation von Mitarbeiter*innen hessischer Jobcenter (und Kund*innen) während der Covid-19-Pandemie

Die in diesem Bericht zusammengefassten Ergebnisse bieten einen ersten Einblick in die aktuelle Situation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hessischer Jobcenter sowie deren Kundinnen und Kunden während der Covid-19-Pandemie. Die Befragung wurde im Rahmen des Modellprojektes „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“ durchgeführt, um einen Eindruck über die veränderten Arbeitsbedingungen der Kooperationspartner und Kooperationspartnerinnen zu erhalten.

Hintergrund der Befragung

Das Modellprojekt „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“ richtet sich an Menschen im ALG-II-Bezug. Die Mitarbeitenden der Jobcenter sind wichtige Kooperationspartner, um die Gesundheitsförderung erwerbsloser Menschen voranzubringen und nachhaltige Strukturen zu schaffen.

Durch die Covid-19-Pandemie wurde der Arbeitsalltag aller Partner im Projekt verändert. Diese Veränderung zu berücksichtigen und den regulären Projektablauf anzupassen, waren für einen sinnvollen Projektfortgang unentbehrlich. Die Mitarbeitenden der Jobcenter bilden eine wichtige Schnittstelle in der Kontaktaufnahme zu den Kundinnen und Kunden. Bereits zu Beginn der Pandemie zeigte sich, dass der Kontakt zu den Kundinnen und Kunden stark eingeschränkt war. Um die erwerbslosen Menschen weiterhin erreichen zu können, musste  umgedacht werden.

Die Zielgruppe der erwerbslosen Menschen zählt generell zu den vulnerablen Zielgruppen, die von sozialer Ausgrenzung und Ungleichheit betroffen sind (Kieselbach,2007). Zudem weisen erwerbslose Menschen im ALG-II-Bezug ein 84 % höheres Risiko für einen Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthalt auf (Hövermann, 2020).

Doch neben den arbeitsspezifischen Sorgen wurde auch das Privatleben der Mitarbeitenden der Jobcenter beeinflusst (verdi.de, 2020). Die Doppelbelastung durch fehlende Kinderbetreuung, die Gefährdung der eigenen Gesundheit sowie der von Angehörigen und schließlich die allgegenwärtige Verunsicherung in der Bevölkerung, können zu Stresssymptomen führen. Diese Dauerbelastung kann ohne Phasen der Entlastung stressbedingte Erkrankungen verursachen, welche einer langen Rehabilitation bedürfen (Faltermaier, 2005).

Methodik

In der Zeit von August bis November 2020 wurde eine Online-Befragung mit Hilfe des Tools Survey-Monkey erstellt und an 12 hessische Jobcenter, welche im Modellprojekt von der HAGE e.V. betreut werden, per Link versendet. Die Umfrage umfasste 20 Fragen, die sich auf den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden sowie die Kontaktmöglichkeiten zu den Kundinnen und Kunden unter Covid-19-Bedingungen konzentrierten. Insgesamt nahmen N=68 Jobcenter-Mitarbeitende aus 11 verschiedenen hessischen Jobcentern an der Online-Umfrage teil. Die Auswertung der Ergebnisse fand deskriptiv statt. Bei der Auswahl der Stichprobe blieben die Kriterien der Repräsentativität unberücksichtigt, somit kann keine Übertragung auf andere Jobcenter erfolgen.

Ergebnisse

Die Online-Umfrage ergab, dass die aktuelle, insbesondere durch die Covid-19-Pandemie geprägte Zeit im Hinblick auf die Arbeitssituation von 46,4 % der Mitarbeitenden als „eher belastend“, von 30,4 % als „eher befreiend“ und von 23,0 % als „eher unverändert“ wahrgenommen wird. Als Begründung für eine „eher belastende“ Zeit wurden zum einen die Doppelbelastung aus fehlender Kinderbetreuung und fehlenden Möglichkeiten zu einem Arbeiten im Home-Office und zum anderen die Einschränkung von spontanen Kundenkontakten genannt. „Eher befreiend“ wird die aktuelle Zeit empfunden, da die Verpflichtung zur Einladung der Kundinnen und Kunden eingeschränkt wurde und sich die Frequenz der geführten Gespräche verringert hat.

Weiterhin zeigte die Online-Umfrage, dass sich 24,5 % als „besonders gefährdet“ wahrnehmen und sich 26,4 % einer Risikogruppe zugehörig fühlen. 30,0 % der Befragten wünschen sich bezogen auf ihre Arbeit mehr Unterstützung. Hierbei wurden besonders die Maßnahmenplanung, die Kundenkommunikation, die Möglichkeit zur Arbeit im Home-Office sowie die Anerkennung und Entscheidungsspielräume benannt.

Neben dem Arbeitsalltag der Mitarbeitenden wurden die Kontaktmöglichkeiten zu den Kunden und Kundinnen erfragt. Hierbei zeigte sich eine Veränderung in der Benennung der Herausforderungen der Erwerbslosen. Die Ängste und Sorgen wegen der Covid-19-Pandemie, fehlende Kinderbetreuung sowie die soziale Isolation wurde von den Kunden und Kundinnen benannt. Zudem zeigte sich, dass im Fokus der gesundheitsspezifischen Themen die Bewältigung von Einsamkeit und Stress stehen.

Diskussion

Die Auswertung der Umfrage macht sehr deutlich, wie belastet sich die Mitarbeitenden in den Jobcentern fühlen. Zum Befragungszeitraum lag der erste Lockdown bereits hinter den Befragten, welcher deutliche Spuren der Verunsicherung hinterlassen hat. Dies zeigte sich auf beiden Seiten: auf Seiten der Mitarbeitenden ebenso wie auf Seiten der Kundinnen und Kunden.

Insgesamt zeichnen die Ergebnisse der Online-Umfrage ein aussagekräftiges Bild. Die Kinderbetreuung ist in Frage gestellt, der gegenseitige Kontakt wurde und wird umgestellt, durch den harten Lockdown wurden Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht. In der Gesamtschau ergibt sich eine Situation erhöhter psychischer Belastung, die eine kontinuierliche Anpassungsleistung aller erfordert. So mussten die Jobcenter auf die gegebene Situation reagieren und die bis dahin gewohnten Arbeitsabläufe umstellen. Als Beispiele sind hier die Veränderungen durch die große Anzahl von Personen in Kurzarbeit als auch die Erreichbarkeit der Kundinnen und Kunden zu nennen.

Vergleichbar ist diese Phase mit einem Veränderungsprozess: Gewohntes, was Halt gibt, bricht weg, wobei die zukünftige Entwicklung noch unklar und fragwürdig ist. Zu den Unsicherheiten eines "gewöhnlichen" Veränderungsprozesses kam die besondere Gefährdungslage hinzu; die Bedrohung der eigenen Gefährdung ebenso wie die von Eltern, Familienmitgliedern, Lebenspartnern, etc. Diese Prozesse beschränkten sich nicht auf die Arbeitssituation, sondern reichten tief in das Privatleben der Menschen hinein, das zeitgleich ebenfalls eine umfassende Umstellung erfuhr, allem voran die Kinderbetreuung. Hinzu kam und kommt die Sorge um die Kundinnen und Kunden, die schlechter erreicht werden können, zu vereinsamen drohen und ein höheres Risiko eines Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthaltes haben (Hövermann, 2020).

Darüber hinaus wurden jedoch auch positive Aspekte genannt, welche sich durch die Umorganisation der Terminvergabe eingestellt haben. An diese soll auch in Zukunft angeknüpft werden.

Ausblick

Heute ist absehbar, was im Umfragezeitraum nur wenige annahmen: ein Ende der gegenwärtigen Situation ist schwer absehbar. In dieser Situation werden sich bestimmte, bereits problematische Bedingungen voraussichtlich noch verschärfen: die Arbeitslosenzahl wird zunehmen (Schröder, 2020). Die momentan langzeitarbeitslosen Menschen werden noch schlechtere Chancen auf dem angegriffenen Arbeitsmarkt haben. Und ihr Gesundheitszustand wird sich vermutlich weiter verschlechtern: „Nach Meinung der Experten sei das Ergebnis der Analyse nicht überraschend, sondern symptomatisch und zeige den deutlichen Handlungsbedarf auf, in dem es unter anderem auch um einen niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung und eine Stärkung der Gesundheitskompetenzen gehen müsse.“(Pressemitteilung AOK Rheinland/Hamburg, 2020).

Die Erreichbarkeit der Kundinnen und Kunden, die in diesem Jahr abgenommen hat, wird unter den gegebenen Mehrbelastungen der Mitarbeitenden schwer aufzufangen sein. Die Belastungssituation der Mitarbeitenden der Jobcenter sollte daher nicht unberücksichtigt bleiben und fordert ein Entgegenwirken mit geeigneten Angeboten. Da diese Online-Befragung lediglich einen kleinen Einblick in die aktuelle Situation der Mitarbeitenden und ihrer Kundinnen und Kunden bietet, wären weitere Untersuchungen notwendig, um klare Empfehlungen aussprechen zu können. Dass die Situation der Mitarbeitenden jedoch weiterhin beachtet werden sollte, ist für eine nachhaltige Unterstützung erwerbsloser Menschen unabdingbar.

Die vollständigen Ergebnisse der Umfrage erhalten Sie gerne auf Nachfrage bei den Projektmitarbeitenden des Modellprojekts „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“



Bild:  ©  HAGE e.V.